Jetzt bin auch ich ins Sauerteig-Geschäft gerutscht. Es passt auch irgendwie in diese Homeoffice-Phase. Ein Gleitschirm-Freund von Google hat mir etwas von seinem abgegeben und damit haben wir wunderbare Brote gebacken. Ich habe vom Sauerteig wiederum etwas weiter gegeben und hier ist die (minim aufdatierte) Anleitung, die ich dazu geschrieben habe.
Sauerteig
Mutter, Vorteig und Teig sind alles Sauerteige und durchlaufen alle den selben Lebenzyklus. In diesem Zyklus sind drei Vorgänge wichtig:
- Gluten und Wasser müssen eine Struktur bilden, die das CO2 der Hefe nicht entweichen lässt, aber genügend elastisch ist, so dass das Brot beim Backen aufgehen kann. Zeit und Kneten helfen, Säure zerstört diese Glutenstruktur.
- Fermentation der Stärke durch Hefe macht die CO2-Bläschen. Dieser Prozess stoppt, sobald der Zucker gegessen oder der Teig zu sauer für Hefe ist.
- Fermentation von anderen Zuckern durch Bakterien macht den Teig aromatisch (also vor allem sauer) und gibt den Hefen zusätzliches Futter.
In einem Teig entwickelt sich in der Regel die Glutenstruktur zuerst, dann tun die Hefen ihr Ding und zum Schluss die Bakterien; ich stelle mir das so vor:

Ein frisch gefütterter Sauerteig riecht nur nach Mehl. Sobald die Hefe aktiv ist, bilden sich CO2-Blasen und das Volumen verdoppelt sich etwa. Da sich Hefen stark vermehren wenn genügend Nahrung vorhanden ist, beschleunigt sich dieser Prozess und das Volumen wächst am meisten gegen den Schluss. Am Anfang dieser Phase riecht der Teig süsslich, dann zunehmend säuerlich, während die Bakterien übernehmen. Wird der Teig zu sauer, bricht die Glutenstruktur zusammen und das CO2 entweicht. Geht den Hefen die Nahrung aus, beginnt der Teig streng (nach Pinselreiniger irgendwie) zu riechen.
Die drei Prozesse kann man relativ zueinander timen, mit Kneten, dem Wasseranteil, der Mehlzusammensetzung, der Temperatur und der Menge Sauerteig. Zeit, Kneten und Falten bauen die Glutenstruktur auf und machen den Teig elastisch. Wasser macht den Teig ebenfalls elastischer, aber das Gluten schwächer (Ciabatta-Teig ist nur noch ein schwammiger Fladen wegen dem vielen Wasser, so dass er wenig aufgeht) und verlangsamt die Fermentation. Vollkornmehl absorbiert mehr Wasser und macht die Fermentation schneller. Weissmehl hat dafür mehr Gluten. Wassermengen zwischen 60 und 75% vom Mehlgewicht und beim Mehl 50% oder mehr Weissmehl sind ein guter Ausgangspunkt. Hefen gedeihen am besten irgendwo zwischen 24 und 30 Grad, darunter und darüber kommen die Bakterien besser für. Bei 10-20% vom Mehlgewicht Sauerteig haben wir in 12 Stunden einen Teig und in 24 Stunden einen sauren Hund.
Mutter
Die Mutter ist ein Sauerteig ohne Salz, den man füttert statt backt, wenn die Hefen fertig gegessen haben; also wenn sich das Volumen rund verdoppelt hat und der Teig voller Bläschen ist, so dass er schwimmt. Bei der Frage, ob man bereits dann oder erst wenn die Hefen richtig nach Nahrung schreien füttern soll, gehen die Meinungen auseinander. Die meisten füttern ihre Mütter mit gleichen Teilen Wasser und Mehl. Der Sauerteig von meinem Freund lebt gut mit Halbweissmehl; wenn man ihn aber mit Weissmehl füttert, ist er nach zwei Fütterungen unbrauchbar. Bei Raumtemperatur isst ein Sauerteig sein Gewicht an Mehl (1:1:1 Fütterung, also z. B. 10gr Sauerteig, 10gr Mehl und 10gr Wasser) in rund 4-8 Stunden, im Kühlschrank in ein paar Tagen.
Um eine neue Mutter anzusetzen, füttere man am besten Vollkornmehl ein- bis zweimal täglich. Nach ein paar Tagen sollten sich erste Hefen und Bakterien vermehrt haben, was sich im Geruch und mit Bläschen zeigt. Nach einer oder mehr Wochen sollte genug Hefe da sein, um das Volumen des Sauerteigs in ein paar Stunden zu verdoppeln, dann kann man ihn zum Backen verwenden. Je nachdem, welche Bakterien sich durchsetzen kann der Geruch auch zeitweise etwas streng sein oder der Teig den Bach runter gehen …
Vorteig
Man könnte zwar direkt mit der Mutter backen, die meisten Rezepte nehmen aber den Umweg über einen Vorteig, damit die Hefen besonders aktiv seien (insbesondere wenn die Mutter im Kühlschrank lebt). Ausserdem ergibt sich das so, wenn man eine kleine Mutter hält und dann je nach Rezept die entsprechende Menge Vorteig an rührt.

Angenommen die 30gr Sauerteig von oben sind unterdessen schön aktiv, dann könnte man 10gr davon wiederum mit 10gr Mehl und 10gr Wasser füttern und zurück in den Kühlschrank stellen, und aus den restlichen 20gr Sauerteig mit einer oder zwei Fütterungen 60gr Vorteig für ein Brot machen.
Teig
Als Grundrezept nehmen wir jeweils 30-60gr Sauerteig, 300gr (Halb)Weissmehl, 60gr verschiedene Vollkornmehle (Roggen oder Dinkel und alte Dinkelsorten wie Einkorn und Emmer kommen gut), 9gr Salz und 270gr Wasser.
Der Vorteig braucht vielleicht 6-12 Stunden, also z. B. eine Nacht. Wenn es schnell gehen muss, kann man am Morgen einfach alles mischen, den Teig alleine den Tag über aufgeben lassen und abends backen. Wir haben aber auch Brote 24 Stunden fermentieren lassen, die werden halt etwas säurer.
Bis man die Zeiten für eine Mehlmischung, die Temperatur und die gewünschte Säure einigermassen kennt ist es wohl besser, wenn man ab und zu vorbei schauen kann. Man kann den Teig aber jederzeit in den Kühlschrank stellen, wenn etwas dazwischen kommt. Wenn man zuviel Zeit hat, kann man sich mit den optionalen Schritten vertörlen und vielleicht eine noch etwas gleichmässigere oder luftigere Krume erreichen 😉
- Optional: Autolyse. Mehl und Wasser eine Stunde vorab mischen, damit die Glutenstruktur einen Vorsprung hat und der Teig bereits etwas weniger klebrig wird. Wenn man aber mit relativ wenig Sauerteig backt und der ganze Prozess mehr als eine, zwei Stunden dauert, entwickelt sich die Glutensturktur eigentlich von alleine.
- Aktiven Sauerteig (Mutter oder Vorteig) und Salz mit dem Mehl und Wasser mischen. Löst man den Sauerteig im Wasser auf, verteilen sich die Hefen besser, sie brauchen dafür etwas länger. Allenfalls kneten um den Teig elastischer zu machen.
- Optional: Kleine Probe in einem Glas zur Seite stellen, damit man sich jederzeit den Fortschritt anschauen kann. Achtung, die Teigprobe gärt tendenziell langsamer, vielleicht weil Kneten den Hefen neues Futter näher bringt oder weil sich die Wärme weniger halten kann.
- Optional: Wenn sich der Teig ausgebreitet hat, kann man ihn jeweils falten um die Glutenstruktur elastischer zu machen. Das Falten mischt den Teig auch, so dass die Hefen besser zu frischer Nahrung kommen. Ist wohl Beschäftigungstherapie, aber gibt ein gutes Gefühl für den Teig: sobald er sich schwammig und schwabbelig anfühlt ist er bereit zum Backen. Ausserdem hält regelmässiges Falten den Teig kompakt, so dass er sich einfacher lösen lässt, ohne dass allzu viel Luft entweicht.
- Sobald sich das Volumen des Teigs (oder der Teigprobe) ungefähr verdoppelt hat, wäre der Teig genügend fermentiert zum Backen. Das dauert je nach Temperatur und Anteil Sauerteig 6-12 Stunden. Der Teig sollte immer noch vorallem süsslich riechen, vielleicht leicht säuerlich, und sehr schwabbelig sein. Wenn man ein eher kräftiges (sprich saures) Brot will, muss man warten, bis der Teig sauer riecht. Das kann durchaus weitere 6-12 Stunden dauern. Spätestens wenn die Probe wieder zu fallen beginnt weil mehr CO2 entweicht, als die Hefe produziert, sollte man den Teig aber backen, denn zuviel Säure löst die Glutenstruktur auf und übrig bleibt eine unbackbare Sauce.
- Optional: Brot formen. Das Ziel ist eine hohe Spannung an der Oberfläche des Teigs, wobei möglichst wenig CO2 entweichen soll. Wenn man den Teig ein paar Mal gefaltet hat, sollte eine Seite kaum klebrig sein. Diese Seite auf eine leicht bemehlte Arbeitsfläche legen, etwas breit ziehen und die klebrige Seite auf sich selber falten, bis der Teig kugelförmig ist. Auf die klebrige Seite drehen und auf einer Fläche ohne Mehl rumschieben, bis der Teig schön rund ist. Wenn man Musse hat, kann man das auch zweimal in vielleicht 15 Minuten Abstand machen.
- Optional: In einem Gärkorb (oder einer Schüssel mit Tuch) nochmal gehen lassen. Das gibt dem Teig Form und erlaub das Volumen von verschiedenen Teigen zu vergleichen. So lernt man, wie luftig das Brot wird. Gut einpudern, damit nichts kleben bleibt, Reismehl ist dafür sehr gut. Ab und zu einen Finger etwas reindrücken, um zu sehen wie es dem Teig geht: Am Anfang springt der Teig sofort zurück. Mit der Zeit entspannt sich die Glutenstruktur und sobald eine kleine Delle bleibt, backen die meisten den Teig. Dies hat bei uns zwischen einer halben und zwei Stunden gedauert. Wartet man viel zu lang bleibt die ganze Delle erhalten und irgendwann ist nur noch eine klebrige Masse übrig, dann ist der Teig übersäuert. Sobald der Teig bereit zum Backen ist die Gärung im Gefrierer verlangsamen, während der Ofen mit dem Topf eine halbe Stunde vorheizt. Alternativ kann man den geformten Teig im Kühlschrank 12 Stunden oder länger gehen lassen. Dann den Teig aus dem Korb stürzen und mit einem scharfen Messer einschneiden.
- Teig in vorgeheizten Topf schmeissen und 20 Minuten volle Pulle backen. Der Topf soll die Feuchtigkeit hoch und damit den Teig elastisch halten, damit sich die Bläschen ausdehnen können wenn das CO2 erhitzt wird (oder die Hefen allenfalls noch einen letzten Effort leisten). Dann Deckel entfernen und auf 230 Grad weitere rund 20 Minuten backen, bis einem die Farbe passt. Während nochmals 20 Minuten im ausgeschalteten Ofen bei leicht geöffneter Türe weiter toasten.
Weitere Rezepte
Im Prinzip kann man in den meisten Rezepten Hefe durch Sauerteig ersetzen und umgekehrt. Die Fermentation läuft aber anders ab, darum hier ein (mit der Zeit) weitere Rezepte.

Unser vielleicht ambitioniertestes Ziel ist ein Ersatz für das Neutronenbrot, ein wunderbares, Energie-reiches, dichtes Kastenbrot aus der Bäckerei in unserer Nachbarschaft in Barcelona. Wir verwenden rund 400gr verschiedene Mehle, hauptsächlich Vollkorn, dazu 100gr gemischte Kernen und Samen. 50-100gr sehr junge Sprossen machen sich ebenfalls gut darin. Das mischen wir wiederum mit 350gr Wasser, 10-12gr Salz und 50-60gr Sauerteig. Nach dem Mischen warten wir meist ein wenig, bis sich das Wasser verteilt hat und kneten dann kurz, damit die Hefen gut verteilt sind. Dann geben wir den Teig in eine gut gefettete Kastenform (bis jetzt hat das nur mit Butter wirklich geklappt), denn ab einem gewissen Vollkornanteil lohnt es sich, den Teig nach dem Mischen in einer Form aufgehen zu lassen, ausser man zielt auf einen kompakten Fladen ab. Sobald der Teig deutlich aufgegangen ist, was schon mal 12 Stunden dauern kann, backen wir das Brot rund 40 Minuten, bis es schön dunkel ist. Da die Kastenform den Teig zusammen hält, kann man solche Teige auch viel saurer backen und warten bis der Teig zu fallen beginnt. Falls man das Brot nicht in den nächsten zwei Tagen essen will (ein Neutronenbrot kann gut eine Woche rumstehen) sollte man in der Rechnung haben, dass beim Backen nicht alle Bakterien sterben und das Brot nach dem Backen weiter saurer wird, umso saurer, desto schneller.